Am 27.10.2021 fand der 17. Bonner Dialog für Cybersicherheit statt. Zur Frage „Wem gehört die digitale Welt und wie souverän sind wir noch?“ diskutierten unter der Moderation von Prof. Dr. Michael Meier Ann Cathrin Riedel (Vorsitzende von Load e.V.), Dr. Patrick Breyer (Europaabgeordneter der Piratenpartei), Anke Domscheit-Berg (Mitglied des Bundestages, Fraktion die LINKE) und Klaus Landefeld (stellv. Vorstandsvorsitzender und Vorstand Infrastruktur und Netze bei eco-Verband der Internetwirtschaft e.V.).
Die Keynote von Ann Cathrin Riedel und die anschließende Diskussion machten eins deutlich: Das Thema ist komplex, es gibt viele verschiedene Ebenen mit verschiedenen Baustellen. Doch der Tenor blieb gleich: Die digitale Souveränität Europas ist gefährdet und in einigen Bereichen nicht auf Augenhöhe mit anderen Staaten und internationalen Playern.
Die Runde war sich einig, dass neue Lösungen erdacht werden müssen, denn auf alte Strukturen könne nicht mehr gesetzt werden.
„Es sollte […] nicht so sein, dass Firmen am Ende diktieren nach welchen gesellschaftlichen Regeln wir in der digitalisierten Gesellschaft leben […] das ist […] auch eine Frage der Souveränität.“ (Anke Domscheit Berg)
Monopolisierungen von großen Unternehmen, gerade im Bereich der Plattformökonomien seien besonders drastisch einzuschätzen. Log-In Effekte würden Nutzer*innen indirekt dazu zwingen zu den Plattformen zu gehen, die von ihren Freunden und Bekannten gleichermaßen genutzt würden und Unternehmen würden dahin folgen, wo die große Masse an Konsumenten hingeht. Was bleibt ist ein vermeintlich kostenloses Angebot – bezahlt wird mit den eigenen Daten, die wiederum an zahlreiche Unternehmen verkauft werden, um personalisierte Werbung zu schalten. Hier profitieren nicht nur die ganz großen Unternehmen, sondern auch viele unbekannte, die Milliardengeschäfte mit den Daten betreiben, so Ann Cathrin Riedel. Nach Dr. Patrick Breyer müsse dieser „Willkürherrschaft“ ein Ende bereitet und die Souveränität der Nutzer*innen in den Mittelpunkt gerückt werden.
Diese sei, so die Runde einstimmig, durch den derzeitigen „Cookie Terror“ nicht gegeben, das Vorgehen sei so unübersichtlich und ungeeignet, dass die Nutzer*innen keine freiwillige und informierte Entscheidung für den Einzelfall abgeben könnten.
„Faktisch sorgt das Zustimmen, dass man immer nur auf „ja okay“ klickt, damit im Endeffekt diese nervige Arbeitsbehinderung weg ist und das ist natürlich genau das was nicht erreicht werden soll.“ (Klaus Landefeld)
Anzupassen sei das nur durch klarere Regulierungen. Domscheit-Berg stellt auch zur Diskussion, ob zu viel Datenerfassung an sich nicht innovationsfeindlich sei, da so nur immer das eine Business-Modell durch den Verkauf von personalisierten Daten verfolgt werden würde und andere Konzepte, die eine soziale Infrastruktur priorisieren würden, so keine Chance hätten sich zu entwickeln. Die Frage, ob hier ein Verbot vom Verkauf für personalisierte Daten durch den Staat Abhilfe schaffen würde, blieb offen im Raum stehen.
Wichtig sei jedoch, so die Diskutierenden, dass die EU- Staaten an sich aktiver werden.
Wirtschaft und Staat müssen Hand in Hand gehen, so Riedel. Sei es durch Gesetzesanpassungen wie dem Digital Services Act und dem Digital Markets Act auf europäischer Ebene oder eine klare auf europäischen Werten basierende Stellung einzunehmen, etwa wenn es darum geht, internationale Standards einzuführen.
„Die digitale Welt soll uns allen gehören, […] [wir] müssen […] uns mit unsexy Themen beschäftigen, z.B. Standardisierung! […] Ansonsten setzt China [global gültige] Standards.“ (Ann Catrhin Riedel)
China hat hier bereits einen großen Vorsprung erlangt. Das Reich der Mitte strebt an bis 2035 internationale Technologiestandards auszuarbeiten, auch andere Länder verfolgen eigene Interessen. Europa drohe bedeutungslos zu werden und sein Mitspracherecht einzubüßen. Derzeit beteilige sich Europa kaum an Internetstandardisierungsgremien, das müsse sich dringend ändern, so die Diskutierenden.
Eine staatliche Veranlassung könnte auch die Einführung von Open Standard Lösungen sein, zum Beispiel in der Verwaltung, sodass auch föderal aufgebaute Staaten wie Deutschland durch eine höhere Interoperabilität zwischen den Systemen profitiere und so Marktmonopole aufgeweicht werden könnten. Auch Internetzugänge nach schwedischem Modell den Nutzer*innen zur Verfügung zu stellen, sei eine Möglichkeit fairen Wettbewerb einzuleiten und Souveränität zurückzuerlangen, so Domscheit-Berg.
Dem staatlichen Einfluss müsse jedoch auch Grenzen gesetzt werden, etwa wenn es um das Thema Überwachung geht.
„[Es] werden die technischen Möglichkeiten von Regierungen zunehmend genutzt, zur Überwachung und Kontrolle ihrer Bevölkerung, das bedeutet zur Zensur, aber auch zur Spionage gegenüber der Bürgerinnen und Bürgern in der europäische Union.“ (Dr. Patrick Breyer)
Hier sei beispielsweise die Erarbeitung eines europäischen Gesetzespaket zu nennen, der eine sogenannte Chat-Kontrolle erlaube, durch welche ohne tiefergehende Begründung Nachrichten und Fotos der Nutzer*innen nach illegalen Inhalten durchsucht werden dürfe.
Dass Staat und Wirtschaft stark in der Verantwortung stehen, Europas digitale Souveränität und der seiner Bürger*innen zu stärken und einzufordern, wurde in der Diskussion sehr deutlich. Doch auch die Frage der Kompetenz der Bürger*innen selbst nahm einen Großteil der Diskussion ein.
Hier spielte vor allem das Stichwort Bildung eine Rolle.
„Digitale Souveränität ist nicht nur eine Frage der Technik, sondern auch eine Frage der Bildung. Kann ich mich souverän bewegen, nicht nur habe ich Zugang zum Internet, sondern verstehe ich das auch?“ (Anke Domscheit-Berg)
Überall dort wo IT eingesetzt werde, müssen Menschen aktiv in die Lage versetzt werden, souverän die Technik zu benutzen und zu verstehen.
Hierzu warf Ann Cathrin Riedel ein, dass die Nutzer*innen nicht alles überblicken können müssen, sondern dass sie sich auf Regulierungen verlassen können sollten und damit auch ein Stück weit entlastet werden.
Es sei jedoch, so Landefeld, ein deutlicher Rückgang an Interesse und individuellen Fähigkeiten bei den Nutzer*innen zu erkennen. Oftmals sei es bequemer einfach seine Zustimmung zu geben und die Konsequenzen nicht direkt spürbar. Dabei sei es sehr wichtig, dass die Kompetenzen der Nutzer*innen nachhaltig gestärkt würden.
Schlussendlich wurde in der Diskussion deutlich, wie verzahnt die Frage der digitalen Souveränität mit verschiedenen Akteuren und Interessen zusammenhängt. Die eine digitale Souveränität gibt es nicht, dafür gibt es zu viele Ebenen und zu viele verschiedene Interessen. Wichtig ist jedoch, dass Europa, als staatlicher Akteur und Europas wirtschaftliche und individuelle Akteure einen Weg einschlagen, der Europas Ansprüchen und Werten entspricht.