Girls‘ Day 2022 & MINT-Begeisterung 

Es ist bekannt, dass sich immer noch viel zu wenige Mädchen/junge Frauen für die klassischen MINT-Berufe entscheiden – evtl. mit Ausnahme der Mathematik.

Das hängt nicht zuletzt mit Mutter-Tochter-Sozialisationsprozessen zusammen, die bekannte Geschlechterstereotypen (zum Beispiel: technisches Verständnis ist nichts für Mädchen) dauerhaft bestätigen. Hier ist das Problem die Suggestion – nicht die kognitiven Fähigkeiten der Mädchen. Es bedarf dann einer großen Anstrengung der Mädchen, aus diesem Klischee auszubrechen, um ihren eigenen Weg zu finden/zu gehen.

Schon im Umfeld der Kita dominieren die Geschlechterstereotypen: Hier müsste die Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher etwas modifiziert werden, um diese erst gar nicht (so stark) entstehen zu lassen.

Das Ganze wird in der Schule kaum besser:

Im schulischen Umfeld gibt es leider auch bis heute immer noch Ungleichbehandlungen zwischen Jungen und Mädchen in den MINT-Fächern:

Ein Beispiel von einer Klientin: Ein Physiklehrer ließ keine Arbeiten schreiben. Er ließ stattdessen immer wieder Versuche aufbauen. Die Jungen haben stets bei meiner Klientin alles abgeschaut. Die Jungen bekamen eine Zwei und meine Klientin eine Drei. Manche Schülerinnen könnten dann schon mal emotional kapitulieren.

Meine Klientin hat in einer Mechanik-Klausur an der Uni alle Aufgaben mit dem sogenannten Impulserhaltungssatz gelöst. Die Herren Doktoranden konnten das nicht nachvollziehen und haben die Lösungen als falsch gewertet. Meine Klientin fiel durch. Später hat sich herausgestellt, dass meine Klientin richtig lag – das war aber leider schon zu spät.

Die Liste lässt sich beliebig lange mit anderen Klientinnen fortsetzen, aber für einen ersten Eindruck sollte es reichen.

Generell sollten bei diesen groben Ungleichbehandlungen Lehrer/Dozenten angreifbar werden, damit sie zur Rechenschaft gezogen werden können. Das gibt es heute in einigen Fällen, aber nur, wenn sich die Eltern den Rechtsstreit leisten können.

Eine mögliche Hilfe: In den MINT-Fächern sollten Lehrer/Dozenten danach beurteilt werden, ob Mädchen/junge Frauen im Schnitt vergleichbare Ergebnisse erzielen wie Jungen/junge Männer.

Es muss aber zugute gehalten werden, dass sich die Situation für Schülerinnen insgesamt (bundesweit gesehen) in den letzten zwanzig Jahren etwas verbessert hat. Positiv kann die Initiative „Komm, mach MINT!“ herausgestellt werden. Hier werden Schülerinnen, Studentinnen und Absolventinnen auf ihrem Weg in die MINT-Berufe begleitet. 

Trotzdem besteht noch viel Handlungsbedarf! Es fehlt oft der weibliche Blick beispielsweise in der Entwicklung technischer Produkte aus der Erfahrung einer Klientin in der Funktion als Nutzerin/Anwenderin.

Zum Schluss noch ein eigenes Erlebnis:

Professor Uwe Jaekel (Rhein-Ahr-Campus in Remagen) und ich hatten gemeinsam schon 2012 die Idee, MINT-Begeisterung speziell bei Frauen zu fördern.

Auch das Kopfrechnen (in mathematisch geschickter Form) hatte eine Rolle gespielt: Die Professoren Claus Neidhardt und Uwe Jaekel und ich hatten lustige und spielerische Vorlesungsinhalte entwickelt, und diese im SS 2013 in Remagen präsentiert.

Ich sollte dafür in Jaekels Fachbereich (Schwerpunkt: (angewandte) Mathematik, Informatik und Physik) eine Honorarprofessur (mit zwei Semesterwochenstunden) erhalten, die mit der Aufgabe verknüpft war, eine Brückenfunktion zwischen Schulen und Hochschule zu etablieren. Obwohl der gesamte Fachbereichsrat in Remagen mich einstimmig unterstützte, gab es im dazu gehörigen Senat in Koblenz einige Vorbehalte (Frühjahr 2013: evtl. zu wenige Veröffentlichungen auf Englisch, nur ein Diplom in Informatik (Uni Bonn) oder allgemein: Was hat ein Kopfrechenweltmeister in der Hochschule verloren, der hauptberuflich als promovierter Pädagoge und promovierter Psychologe Begabungsdiagnostik in Bonn (bei Kindern mit Verdacht auf eine überdurchschnittliche Intelligenz) durchführt…?). So kam es nicht zur Abstimmung (ich hätte 8 Ja-Stimmen von 11 Stimmen gebraucht) und ich konnte infolgedessen die Funktion nicht übernehmen. Der gesamte Fachbereichsrat konnte sich das nicht erklären und hat ausdrücklich sein Bedauern mitgeteilt. Aber vielleicht könnte so eine Honorarprofessur viel besser durch eine Frau ausgeübt werden, wenn wir schon beim Thema sind ;-). Bis heute ist das wahrscheinlich noch nicht passiert.

Das Ganze hat mich nicht entmutigt – im Gegenteil: Ich unterstütze weiterhin alle Formate, die in der Breite aber auch in der Spitze die Basiskulturtechnik (intelligentes) (Kopf-)Rechnen speziell auch bei Mädchen fördern (von der Schule bis zur Weltmeisterschaft). Die Stiftung Rechnen (Hamburg) ist für solche und vergleichbare Projekte absolut offen und hat auch selber viele Ideen.

Mit den besten Wünschen für den Girlsday!

Gert Mittring

Über den Autor:
Dr. Dr. Gert Mittring, Jahrgang 1966, ist Weltmeister im Kopfrechnen.
Mit seiner frühen Leidenschaft für Zahlen trieb er so manchen Lehrer zur Verzweiflung.
 

Er führt nicht nur Doktortitel als Pädagoge und Psychologe, sondern auch den Titel eines Großmeisters im Kopfrechnen. Elfmal wurde er offiziell Weltmeister in dieser ungewöhnlichen Disziplin. Als Buchautor und in verschiedenen Veröffentlichungen befasst er sich mit Mathematik und Hochbegabung, wendet sich aber zugleich leicht verständlich an das breite Publikum. Man kennt ihn aus Fernsehauftritten beispielsweise bei Stern TV, TV Total, Gripsshow, 3 nach 9, Nachtcafé und Mittagsmagazin – und aus zahlreichen Radiointerviews.

Mittring leitet eine psychologische und begabungsdiagnostische Praxis in Bonn, berät Firmen in mathematischen Fragestellungen und hält Vorträge über Mathematik und Psychologie. Auf offenen Seminaren und Workshops bringt er den Teilnehmern die Kunst des Kopfrechnens verblüffend schnell und nachvollziehbar bei. Selbst das Rechnen mit großen Zahlen und das Erfassen komplexer Sachverhalte lernt man mit ihm ohne Stress.

Seine Herzensangelegenheit ist die Förderung von Kindern und Jugendlichen. So hat er ein altersgerechtes Programm aufgelegt, das Schüler motiviert und gezielt Ängste vor Mathematik abbaut. Außerdem organisiert Mittring Schüler-Kopfrechenmeisterschaften. Seine pädagogischen Methoden sind geeignet, auch bei nur geringem mathematischem Vorwissen große Fortschritte in sehr kurzer Zeit zu erzielen. Lesen Sie hier mehr dazu: www.aktionrechnen.de

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